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Innovationskunst

Auftakt der Messreihe: Fraunhofer IIS und Staatliche Museen zu Berlin digitalisieren Benin-Bronzen mittels Hochenergie-Computertomographie

Fürth, Berlin: Die Digitalisierung kulturhistorischer Objekte kann das Original nicht ersetzen. Dennoch gibt es viele Gründe, mittels modernster Technik dreidimensionale Modelle von historisch bedeutsamen Objekten zu erzeugen. Am Fraunhofer-Entwicklungszentrum Röntgentechnik EZRT des Fraunhofer IIS wurden in Zusammenarbeit mit den Staatlichen Museen zu Berlin Bronze-Reliefs aus Westafrika mittels industrieller Röntgen-Computertomographie in digitale Datensätze übersetzt. Mit der Digitalisierung der ersten Museumsstücke wurde die Machbarkeit des Projekts nachgewiesen.

Vom Ethnologischen Museum und dem Rathgen-Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz werden derzeit von über 500 Objekten aus dem historischen Königreich Benin, bildliche Digitalisate und 3D-Scans mit Hilfe fotogrammetrischer Methoden erstellt. Die Eigentumsrechte an sämtlichen dieser Objekte aus dem Bestand des Ethnologischen Museums wurden von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz im August 2022 an die Bundesrepublik Nigeria übertragen.

Am Fraunhofer-Entwicklungszentrum Röntgentechnik EZRT des Fraunhofer IIS kann ein Teil der Objekte vor der sukzessiven physischen Rückführung nach Nigeria nun mittels modernster industrieller Röntgen-Computertomographie in weiteren wichtigen Dimensionen erfasst und studiert werden. Bereits seit 2008 arbeiten die Fraunhofer-Gesellschaft und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in der Forschungsallianz Kulturerbe, gemeinsam mit der Leibniz Gemeinschaft, den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden an der Entwicklung neuer, forschungsintensiver Verfahren im Bereich der Kulturguterhaltung zusammen. Das gemeinsame Projekt zu den sog. Benin-Bronzen ist ein Beispiel dieser erfolgreichen Kooperation. Fünf ausgewählte Benin-Bronzen wurden bereits in den Monaten Juli und August 2021 im Rahmen einer Pilotstudie am Fraunhofer-Entwicklungszentrum Röntgentechnik untersucht. 27 weitere Bronzen werden voraussichtlich in einer darauf aufbauenden Messkampagne ab April 2023 folgen. Die Untersuchung erfolgt nach ausdrücklicher Zustimmung Nigerias.

Herausfordernde Materialzusammensetzung

Die Benin-Bronzen, die eigentlich nicht aus Bronze, sondern aus Messing bestehen, stellen für die Röntgentechnik eine ganz besondere Herausforderung dar: Die Kupferlegierung, aus der die Skulpturen und Reliefs gefertigt sind, wirkt stark absorbierend gegenüber Röntgenstrahlung im herkömmlichen Energiebereich. Zudem sind die Benin-Objekte deutlich größer und massiver als typische andere Objekte, die einer Röntgenprüfung unterzogen werden, wie z.B. Aluminiumräder oder Motorkolben. Um dennoch sehr gute, rauschfreie Tomographie-Bilder mit hoher Ortsauflösung anzufertigen, nutzen die Forschenden am Entwicklungszentrum Röntgentechnik in Fürth eine der größten CT-Anlagen, die es weltweit gibt.

Die eingesetzte Hochenergie-CT erzeugt mittels eines Linearbeschleunigers Röntgenlicht mit bis zu 9 Mega-Elektronenvolt, um hochabsorbierende Werkstoffe zu durchleuchten. Dank eines komplexen Maschinenbaus, der eine Positionierung der Anlage im Mikrometer-Bereich erlaubt, werden hochgenaue dreidimensionale Volumendatensätze erzeugt, die die Kunstwerke mit einer räumlichen Auflösung unterhalb von 0,2 Millimeter repräsentieren. Hierfür werden hunderte einzelne Röntgenbilder der Bronzen aus unterschiedlichsten Winkeln aufgenommen. Die Messdauer der Objekte belief sich durchschnittlich auf ein bis zwei Stunden. Die Messdaten werden mit Hilfe einer Computersoftware verarbeitet und ergeben so einen dreidimensionalen Datensatz.

Aussagekräftige Datensätze, die kein Detail verborgen halten

Diese CT-Datensätze sollen mit denen aus der Fotogrammetrie für eine ganzheitliche Darstellung der Objekte zusammengeführt werden. Dabei werden ganz typische Herausforderungen im digitalen Raum berücksichtigt: Fragen der zielorientierten Skalierung der Datenmengen, die über große Bandbreiten variieren, der Zugänglichkeit für Nutzergemeinschaften von den Forscherkollegen bis hin zur breiten Öffentlichkeit. Auch Fragen zur Obsoleszenz von Speichermedien und der damit verbundenen Notwendigkeit der Datenmigration werden im Projekt diskutiert.

Ein wichtiger Aspekt der Röntgen-Computertomographie betrifft radiografische Datierungen: Quarzhaltige technologische Rückstände aus dem Gussverfahren, welche den Innenwandungen der Objekte anhaften, können zur Datierung mittels Lumineszenzverfahren wie Thermo-Lumineszenz oder optisch stimulierte Lumineszenz herangezogen werden. Im Zuge des Projekts werden Testsande am EZRT unter kontrollierten Bedingungen bestrahlt, um sicherzustellen, dass eine hochenergetische CT im Einzelfall nicht die spätere Datierung der Bronze beeinträchtigt.

In dieser Forschungskooperation zwischen dem Fraunhofer-Entwicklungszentrum Röntgentechnik EZRT und den Staatlichen Museen zu Berlin werden in enger Abstimmung mit den Eigentümern neue Erkenntnisse zur Kunsttechnologie und Herstellungstechnik gewonnen, die letztendlich auch eine Voraussetzung für eine eventuelle Erstellung detailgetreuer Kopien darstellen. Gemeinsam werden die Grundlagen einer modernen konservierungswissenschaftlichen Dokumentation und dreidimensionalen Visualisierung der Kunstwerke erarbeitet, die der akademischen und allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll.

Rendering eines Gedenkkopfs eines Königs, Plastik, 18. Jahrhundert, Königreich Benin (heutiges Nigeria) © Fraunhofer IIS/ Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum

Schnittbild eines Gedenkkopfs eines Königs, Plastik, 18. Jahrhundert, Königreich Benin (heutiges Nigeria) © Fraunhofer IIS/ Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum

Beim eingesetzten Computertomographie-System fungiert ein Linearbeschleuniger als Röntgenquelle für die Erzeugung der Röntgenstrahlung. Dies ermöglicht selbst die Untersuchung sehr großer oder dichter Prüfobjekte. Das hochpräzise Manipulationssystem des Systems beherbergt zwei unterschiedliche Detektoren sowie eine zwei Meter im Hub verfahrbare Objektachse. © Fraunhofer IIS/Paul Pulkert

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